Oma Hildegards merkwürdige Geschichten?

Hildegard Schaefer

Biographie

Hildegard Schaefer wurde 1949 in Lauenburg geboren und lebt seit 1954 in Buchholz / Nordheide

Seit 2003 istsie Mitglied bei den Freien Deutschen Autoren, vorher und jetzt ist sie Teilnehmer in verschiedenen regionalen Schreibgruppen, hält Lesungen, gibt Workshops und ist mit Kurzgeschichten in verschiedenen Anthologien vertreten.

Hildegard ist Mitglied in der AWO-Buchholz

Sie schreibt uns alle 4 Wochen eine neue Geschichte.
(um den fünfzehnten des Monats)

©f Hildegard Schaefer,  202

Das Geschenk

 

Schwester Margitta wollte gerade in das Dienstzimmer der Station gehen, als eine füllige, blonde Frau sie ansprach: „Entschuldigen Sie bitte, aber ich habe gerade Herrn Reuthmann auf Zimmer 349 besucht. Und er bat mich, wenn ich das nächste Mal komme, dann soll ich ihm eine Flasche Rotwein mitbringen damit wir auf unser Wiedersehen anstoßen können. Das ist doch nicht erlaubt, oder?“

Margitta schmunzelte. „Ich glaube, dass ich das gar nicht gehört habe. Wenn Herr Reuthmann meint, dass es ihm bekommt, meinen Segen und den vom Oberarzt hat er. Schön zu sehen, dass er Besuch bekommt, der ihn auf so kühne Gedanken  bringt.“

„Bekommt er denn keinen Besuch von seinen Söhnen? Ja, ich weiß, ich darf das alles nicht fragen aber ich bin erst seit einer Woche wieder im Lande, vorher war ich ein Jahr bei meiner Tochter in Südamerika. Und meine Bekannte meinte, dass es ihm gar nicht gut geht, er hätte seit dem Tod seiner Frau vor zehn Monaten jeglichen Kontakt abgebrochen. Das wundert mich, ich habe ihn als fröhlichen, Kegelbruder erlebt. Na ja, man steckt nicht drin in einem Menschen, ich werde ihn jedenfalls morgen wieder besuchen.“

Schwester Margitta sah der älteren, flott gekleideten Frau nachdenklich hinterher. Hoffentlich schaffte sie es, dem Patienten wieder Lebensmut zu geben. Er war mit Herzschmerzen als Notfall eingeliefert worden und bekam die übliche Behandlung, die ihn wieder auf die Beine bringen sollte, doch nichts schlug an. Der Oberarzt brachte es auf den Punkt: „Ich glaube, der Mann hat keine Lust zu leben; er will einfach nicht wieder gesund werden.“

„Haben Sie denn niemanden zu Hause, der sich um ihre Wäsche kümmern kann, eine Zugehfrau, Kinder, Nachbarn, Freunde?“, hatte sie ihn vor ein paar Tagen gefragt. Es ist unüblich für einen Privatpatienten, ausschließlich Wäsche vom Krankenhaus zu bekommen. Allerdings verließ er sein Bett nicht mehr, trotz guten Zuredens. Er vertraute ihr an, dass sie ihn an seine Tochter erinnerte, die in Australien lebt. Seine Söhne hätten sich mit ihm zerstritten seit dem Tode seiner Frau. Und nein, er würde nicht einlenken bei den beiden, und überhaupt hätte er sich den Ruhestand anders vorgestellt. Dass seine Frau vor ihm ging, nahm er ihr übel. „Sie hat mich einfach allein gelassen, wir hatten doch noch so viel vor. Wir wollten in den Vatikan reisen, dann hätte ich bestimmt die letzte europäische Euro-Münze bekommen, die 50 Cent, die mir noch fehlte, dann wäre meine Sammlung komplett gewesen. Nicht einmal das habe ich geschafft, und jetzt ist sowieso bald alles aus.“

„Was macht Sie da so sicher, dass es mit Ihnen zu Ende geht? Es kann Ihnen geholfen werden, doch Sie müssen es auch zulassen und leben wollen und nicht so einfach aufgeben.“

„Ich glaube nicht, Kindchen, ob sie wissen, dass ein gebrochenes Herz nicht mehr zu heilen ist. Ich habe doch nichts mehr, für das es sich zu leben lohnt.“

„Und ihre Tochter, an die ich Sie erinnere? Auch wenn sie am anderen Ende der Welt wohnt, meinen Sie nicht, dass es sie schmerzen würde, wenn Sie einfach so gehen?“

„Meine Tochter war nicht einmal zu der Beerdigung ihrer Mutter gekommen, sie baut sich dort unten eine Existenz auf mit ihrem Mann und den beiden kleinen Kindern. Die haben ihre eigenen Sorgen. Ich hatte ein schönes Leben, ich kann mich nicht beklagen. Für jeden kommt einmal die Zeit, zu gehen.“

Margitta ging nach Hause. Vor ihrer Wohnung nestelte sie an ihrem Schlüsselbund herum und prompt stand ihr Nachbar auf dem Flur. „Ja, Stefan, ich komme gleich. Ich dusche nur noch, hole die Flasche Rotwein und in der Zwischenzeit kannst du den Auflauf in den Ofen schieben, ich freue mich schon auf unseren Abend. Und dann habe ich eine Frage an dich, du hast doch so eine Sammlung. Könntest du mir vielleicht einen Gefallen tun?“

„Halt meine Dame“, Schwester Margitta stürmte auf den Besuch zu. Den ganzen Nachmitttag war sie abgelenkt, weil sie die Eingangstür im Auge behielt. „Verzeihen Sie, dass ich Sie so überfalle, aber Sie haben doch bestimmt Geld von Herrn Reuthmann für diese Flasche bekommen?“

„Schon, aber ich wollte ihm die Flasche schenken und das Geld zurückgeben. Darf er nun doch keinen Alkohol? Sie haben doch gestern…“

„Alles in Ordnung, es geht mir nur darum, dass er diese Münze hier im Wechselgeld erhält. Doch Sie dürfen ihm nicht sagen, dass sie von mir ist. Erzählen Sie ihm irgendetwas glaubhaftes, wie Sie an das Wechselgeld gekommen sind. Machen Sie das? Bitte! Ihm und mir zuliebe!

„Nun, wenn Sie mich so darum bitten, gerne. Ich verstehe zwar den Sinn nicht, doch ich spiele mit.“

Am Abend sah sie Herrn Reuthmann mit leuchtenden Augen und roten Wangen auf sich zukommen, das Nachthemd umwehte ihn. „Schauen Sie mal, Schwester Margitta, was mir gerade passiert ist. Die 50 Cent Münze vom Vatikan! Ich habe sie jetzt. Meine Sammlung ist endlich vollständig! Meine alte Kegelschwester hat mir Glück gebracht. Beim Weinhändler, wo sie die Flasche kaufte, war vor ihr ein Italiener und nach ihr kam noch einer. Weil sie sich aber Zeit nehmen wollte, ließ sie diesen vor. Und nun habe ich sie endlich.“ Er zeigte ihr mit vor Aufregung zitternden Händen die Rückseite der 50 Cent Münze und sie warf einen langen, nachdenklichen Blick darauf.

„Was so ein kleines Geschenk aus dem Vatikan doch ausmachen kann. Nun können Sie endlich das ganz große Geschenk annehmen.“

Er schaute sie fragend an. „Na, sie wissen doch: das Leben! Das wurde Ihnen auch geschenkt. Und nun nehmen Sie es endlich an.“