Hildegard Schaefer
Biographie
Hildegard Schaefer wurde 1949 in Lauenburg geboren und lebt seit 1954 in Buchholz / Nordheide
Seit 2003 istsie Mitglied bei den Freien Deutschen Autoren, vorher und jetzt ist sie Teilnehmer in verschiedenen regionalen Schreibgruppen, hält Lesungen, gibt Workshops und ist mit Kurzgeschichten in verschiedenen Anthologien vertreten.
Hildegard ist Mitglied in der AWO-Buchholz
Sie schreibt uns alle 4 Wochen eine neue Geschichte.
(um den fünfzehnten des Monats)
© Hildegard Schaefer 15/10/2025
Reisen bildet
Ingeborg schaute aus dem Fenster des IC Zuges, die Bäume begannen bereits, bunt zu werden. Bald würde es früher dunkeln und Eleonore würde sie noch öfter besuchen. Seit dem Tod ihres Mannes zwei Jahren lebte sie in einer 1 Zimmer Wohnung in der Nachbarschaft und besuchte Ingeborg immer dann, wenn ihr die Decke auf den Kopf fiel.
Gestern Abend verabschiedete sie sich von ihr: „Eleonore, Ich komme privat in Berchtesgaden unter, von da geht es dann weiter. Ich bin so 3 Wochen weg. Du hältst es auch ohne mich aus, da bin ich mir sicher.“
Sie erntete einen tieftraurigen Blick. „In Berchtesgaden, da wohnt meine Schwester. Wir haben seit Ewigkeiten keinen Kontakt mehr, weil unsere Männer sich nicht ausstehen können. Ich habe ihnen nicht einmal die Todesanzeige meines Theos geschickt, meine neue Adresse auch nicht, diese Genugtuung wollte ich ihnen nicht geben.“
Ingeborg holte ihr Handy aus der Tasche und betrachtete verärgert den Akkustand. 35%. Sie benutzte es doch nur, um zu telefonieren, warum war es so oft leer? Und einzig auf Reisen brauchte sie die DB App um die Zugverbindungen zu erfahren. Ihr Enkel Richard hatte alle Telefonnummern eingetragen und gespeichert, auch die, zu denen sie jetzt unterwegs war.
„Oma, warum willst du eigentlich nicht das Internet nutzen, um deine Tauschring-Aktivitäten selber zu planen?“
„Ach Junge, dazu bin ich doch viel zu alt, und mit deiner Hilfe geht das doch.“ Er zuckte nur mit den Schultern und sagte beim Hinausgehen. „Geh lieber mit der Zeit, sonst wirst du irgendwann abgehängt. Ich kann dir nicht immer helfen.“
Sie wählte die gespeicherte Nummer ihres Berchtesgadener Kontaktes: „Hallo Mechthild, ich bin in 15 Minuten am Bahnhof. Holst du mich ab? Erkennungszeichen, wie abgemacht, ein roter Schal?“
Die Frau mit dem roten Schal war auch Rentnerin, ebenfalls verwitwet, sie begrüßten sich wie alte Bekannte. Das Haus, in dem sie wohnte, strahlte bayrische Gemütlichkeit aus. „Und du hast wirklich noch nie bei Tauschringleuten übernachtet, Ingeborg? Ich hatte schon so viele Gäste hier im Haus, ist ja auch Platz genug. So viele Zimmer, meine Schwiegereltern hatten sogar vor, eine Pension daraus zu machen. Hat aber leider nicht geklappt. Es ist aber ganz schön viel Arbeit. Manchmal lasse ich Leute einfach nur hier wohnen, damit sie mir helfen, das Haus zu unterhalten. Sogar Schweizer, Franzosen und Österreicher kommen her. Alle bezahlen mit ihrer Zeit-Währung und damit kann ich die Angebote unseres Ringes nutzen und auch verreisen. Und du kommst aus der Lüneburger Heide? Da wollte ich auch schon immer mal hin. Kann man bei dir auch übernachten?“
Fast hätte Ingeborg ein schlechtes Gewissen bekommen. .„Na ja, bislang habe ich Hundebetreuung, bügeln backen und essen machen angeboten, deshalb habe ich ein Guthaben, das ich jetzt mit Reisen ausgebe. Vier Tage bei dir, dann 1 Woche nach München, dann Würzburg noch eine Woche, dann Hannover noch ein paar Tage.“
„Ja, so ähnlich habe ich auch angefangen, doch Übernachtungen anzubieten macht einfach mehr Spaß. Mir würde sonst die Decke auf den Kopf fallen – ohne Kinder und ohne Mann.“
Mechthild war eine wundervolle Gastgeberin, sie zeigte ihr die Gegend und abends spielten sie Karten. Ingeborg erzählte ihr am letzten Abend zufällig von Eleonor, deren Schwester auch hier wohnen würde. „Sie sieht dir sogar ein bisschen ähnlich, finde ich, aber sie ist längst nicht so unternehmenslustig wie du. Sie wird froh sein, wenn ich wieder zu Hause bin.“
„Sagst du mir bitte ihren Nachnamen? Eleonor ist ein seltener Name.“ Mechthild schaute sie gespannt an.
„Sie heißt Fischer, wohnt erst seit 2 Jahren bei mir in der Nachbarschaft.“
„Na, das ist aber eine Überraschung!“ rief Mechthild aus. „Das ist meine Schwester. Ich habe ihnen die Traueranzeige meines Mannes geschickt, aber sie kam als unzustellbar zurück.“
Sie tauschten die Adressen aus und Mechthild zeigte ihr auf dem Smartphone, wie sie die Abbuchungen über das Internet machte. Ingeborg schaute sie bewundernd an. „Ist das schwer zu lernen?“
„Aber Ingeborg, ich kann dir das mal kurz zeigen. und etwas bringt dir sogar das Handy selbst bei. Bei uns in der Gruppe gibt einer Smartphone-Unterricht und hilft uns, wenn wir Probleme haben. Am Anfang wusste ich nicht einmal, was er mit der analogen, der virtuellen und der digitalen Welt meinte. Aber die analoge Welt ist doch die alleine echte, die wirkliche, die reale, die unsrige. Und darin kennen wir beide uns doch weitaus besser aus als diese jungen Hüpfer heutzutage, nicht wahr?“ Ingeborg lächelte und dachte an ihren Enkel.

